VR-Brillen im Einsatz: Von Rüthen aus in die virtuelle Welt

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Tageszeitung „Der Patriot“ vom 20. Mai 2022

Als „Leuchtturmprojekt“ fungiert das Rüthener Friedrich-Spee-Gymnasium (FSG) landesweit bezüglich dem Einsatz Virtueller Realität (VR) im Unterricht. Insgesamt 20 geförderte VR-Brillen kommen jetzt bei den Schülern zum Einsatz.

Die Neuntklässler in der Alten Aula des Gymnasiums sind am Donnerstagmorgen im Geschichtsunterricht nur körperlich anwesend. Geistig erkunden sie gerade das Anne-Frank-Haus in Amsterdam. Durch den Einsatz von VR-Brillen erleben sie im Versteck die Enge des kleinen Zimmers und nehmen die dumpfen Geräusche von Fliegern und Kirchenglocken vor dem verschlossenen Fenster wahr.

Virtuelle Realität (VR) bezeichnet ein Verfahren für computergenerierte Echtzeitdarstellungen. Vom digitalen Medium werden virtuelle Welten in den dreidimensionalen Raum eingeblendet, der den Nutzer umgibt. Sobald die Schüler also die VR-Brillen aufsetzen, haben sie das Gefühl, sich an einem anderen Ort, in dem Fall dem Anne-Frank-Haus, zu befinden. Mit Controllern in den Händen, können sie dort auch virtuell agieren und zum Beispiel Türen öffnen oder Gegenstände aufheben.

Thematik gemeinsam vorbereitet

Im Geschichtsunterricht hatten die Schüler sich zuvor bereits mit dem Thema Nationalsozialismus und der Lebensgeschichte der jungen Jüdin Anne Frank auseinandergesetzt, welche sich im Zweiten Weltkrieg mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten versteckt hatte. „Wir haben viele Tagebucheinträge von Anne gelesen und Fotos angesehen, aber das ersetzt nicht den Eindruck eines virtuellen Rundgangs“, sagt Geschichtslehrerin Marion Schniedermeier. Denn durch die VR-Brillen würde eine beeindruckende Raumerfahrung erlebt, die sich unmittelbar an die Realität anschließe. „Die Motivation bei den Schülern ist außerdem sehr hoch, da wir mit der Technik direkt an ihre medialen Lebenswelten anknüpfen“, ergänzt Lehrer Stephan Jätzel, der sich gemeinsam mit den Kollegen Philip Lenser und Marion Schniedermeier für die Anschaffung der Brillen am Rüthener Gymnasium eingesetzt hat.

Außerdem sei man durch den Einsatz virtueller Realität nicht räumlich beschränkt, so Jätzel. „Eine Exkursion nach Amsterdam in das reale Anne-Frank-Haus wäre für uns aufgrund der Entfernung schlecht umsetzbar. Dank der Brillen müssen wir aber nicht verreisen, um Geschichte erlebbarer zu machen“, begründet er.

Einsetzbar sei die Technik aber nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern eigne sich auch für andere Fächer. Im Lateinunterricht hatten Schüler mittels VR-Brillen zum Beispiel schon einen Gladiatorenkampf verfolgt. Auch für die Fächer Politik, Biologie und Erdkunde sei die Technik gut einsetzbar. So könnten Schüler im Fach Biologie zum Beispiel eine interaktive Reise durch den Blutkreislauf unternehmen oder bei der Fütterung von Bienenlarven live dabei sein.

Dass die Schüler motiviert und mit viel Freude bei der Sache sind, wird am Donnerstag auch in der Aula deutlich: Immer zu zweit arbeiten sie zusammen, um aufeinander aufzupassen. „Man kann körperlich schon ins Schwanken geraten“, erläutert Schniedermeier – denn das Gehirn glaube, in der virtuellen Realität zu sein, während der Körper im Hier und Jetzt ist. Auch könne man so tief in die virtuelle Welt eintauchen, dass man den realen Raum vergesse und etwa vor Hindernisse laufe. Um das zu verhindern, wird der Schüler, der die Brille trägt, immer von einer weiteren Person beaufsichtigt.

Auch die Berufsorientierung könne neu gestaltet werden. Statt durch analoge Listen und Hefte zu blättern, könnten Schüler etwa virtuelle Kurzpraktika absolvieren um direkt Eindrücke von den späteren möglichen Arbeitsplätzen zu bekommen.

In Ausbildungen selbst komme die Virtuelle Realität ebenfalls zum Einsatz, sagt Jätzel. So würden Mediziner heute etwa zuerst virtuell operieren, bevor sie am realen Patienten praktizieren. „Auch für die Lehramtsausbildung könnte man die Technik nutzen“, so Jätzel. Zudem wolle man als Gymnasium Vorbild im Digitalen Lernen sein und bei Bedarf auch Schüler umliegender Schulen mit der Virtuellen Realität vertraut machen.

Bezüglich der VR-Brillen sei man in Rüthen Vorreiter, denn keine andere Schule in Nordrhein-Westfalen besitze mehr von diesen Geräten als das FSG. Dem virtuellen Erlebnis im Unterricht folge auch immer eine Nachbereitung. Man diskutiere, was realistisch und eher fiktionell gewesen sei.

Vorreiter im Bereich Digitales Lernen

Die insgesamt 20 Brillen im Wert von je rund 550 Euro sind durch den DigitalPakt Schule von Bund und Land gefördert worden. Da das Gymnasium digital schon zuvor gut ausgerüstet gewesen sei, habe das FSG mit der Förderung einen Schritt weitergehen und die VR-Billen anschaffen können. Damit sei man den meisten Schulenin Nordrhein-Westfalen schon einen großen Schritt voraus.