Our American Uncle | Zum Stück | Englischer Text | Vokabeln | Besetzung | Kritik |
Kritik in der Tageszeitung "Der Patriot"
"Der Mensch ist erst da ganz Mensch, wo er spielt." Der geniale Dramatiker Schiller hat gewußt, wovon er redet. Das Ensemble "The Understudies" am Friedrich-Spee-Gymnasium in Rüthen, das am Freitag abend das neueste Stück seiner Englischlehrerin Dale Komander uraufgeführt hat, muß Schillers Sentenz zumindest erspürt haben. Denn nur mit einer von allen Spielern verinnerlichten Spiellaune, mit intensivem Spielwitz läßt sich ein Publikum gefangen nehmen und - für einen Abend jedenfalls - die "daily soap" vergessen.
Was Dale Komanders Stück der Seifenoper voraushat: Es arbeitet nicht mit Klischees, es spielt mit ihnen, bricht sie auf, variationsreich und ausgesprochen intelligent; es entlarvt die Klischees in ihrer Kümmerlichkelt und zeigt zugleich ihre Faszination der Einfachheit für die Einfachen, die sie brauchen, um sich ein Bild zu machen von dieser Welt und den Menschen, die auf ihr leben; der reiche und deswegen skrupellose und laszive Amerikaner, (sind Amerikaner nicht in Wirklichkeit ausgesprochen prüde?), steife, unterkühlte Engländerinnen (Queen Victoria läßt grüßen), formenstrenge Butler, deren Formenstrenge vor der Whisky-Flasche dann doch nicht standhält.
Die Komödie braucht viel Kenntnis, viel Verständnis und Liebe für die widersprüchliche Spezies Mensch, seine Schwächen ohne Schonung zu offenbaren und ihm doch nicht seine Liebenswürdigkeit zu nehmen, ihm - ganz im Sinne Schillers - seine Freiheit zu lassen, ohne dabei die eigene Freiheit zu verleugnen. Und am Ende aller Irrungen und Wirrungen der Komödie steht ihr vielleicht inhaltsschwersterSatz, gesagt von Gran trotz oder gerade wegen ihres fortgeschrittenen Alters: "Now I' m going to live at last!"
Der weite Bogen, den Dale Komanders "Our American Uncle" schlägt, wobei nicht einmal die Royal Family ganz ungeschoren davonkommt, schließt sich zum hoffnungsvollen Happy End: Liebe, Kapitalismus, Kommunismus und Aussicht auf eine Karriere als Filmstar - alles wird gut."The Understudies" haben ein rasantes, temporeiches Spiel hingelegt und ihren hohen Anspruch, nämlich Shakespeare ein bißchen Konkurrenz zu machen, gewiß nicht verfehlt. Das ist das Verdienst des ganzen Ensembles, das dem Spiel eine solche Dichte und Geschlossenheit gab, so daß das Publikum mit den Lachern kaum nachkam. In einem Stück ist jede Rolle eine tragende, das haben die Akteure wieder einmal bewiesen, ob Dominik Blecke als Bert Winterbottum, der sich als schlichtes Gemüt, aber dann doch nicht so ganz ohne verkauft, oder Niv Novbakht als Superintendent Horton - ein kleiner Hercule Poirot. Natürlich standen im Mittelpunkt des Geschehens der ebenso flippige wie falsche Uncle Homer (Carsten Busold) und seine - natürlich - Kaugummi kauende Frau, von Anke Schmidt etwas üppig, erotisch und hinreißend komisch gespielt.
Auch Yvonne Köster als Dienstmädchen Nanette setzte gekonnt erotisches Talent ein, mit französischem Flair versetzt, um vom "drohenden" Reichtum etwas abzubekommen, und Tobias Schümmer gab den piekfeinen Butler, der am Ende dem Geist der Flasche erliegt und demonstrierte, wie nüchtern man sein muß, um einen guten Trunkenbold darstellen zu können. Jennifer Stach spielte die elegante Cecily, eine Frau, die sich vom Reichtum blenden läßt und dabei Charakterzüge zeigt, die besser nicht gezeigt werden sollten. Besonders gekonnt waren auch die Tanzeinlagen der beiden Homerettes Sonja Fodor und llka Lewrenz und Tracy Mablethorpes (Shanti Liebrecht) so gelungene Interpretation von "Don't cry für me Argentina!", ein Ohrwurm der besonderen Art.
Der spanische Dichter Federico Garcia Lorca war der Überzeugung, daß "ein verlumptes Theater . . . eine ganze Nation verplumpen und einschläfern" könne. The Understudies haben am Freitag abend einen hellwachen Sinn für Sprachwitz und Situationskomik geboten und ein sich wach lachendes Publikum bestens unterhalten.
Karl-Heinz Knüwe in der Tageszeitung "Der Patriot" vom 08.06.98