Zum Vorbericht

Zur herbstlichen Schreibwerkstatt

Bilder

 

Kinder fressen mich auf...

herbstliche Schreibwerkstatt mit Tilman Röhrig

 

Herbstliche Stimmung herrschte während der Schreibwerkstatt mit Tilman Röhrig am 1.Oktober 2001, zu der sich einige Schüler, Lehrer und natürlich Presseleute nachmittags einige Stunden im Gymnasium trafen. Dort konnte jeder seine verborgenen Talente entdecken und vielleicht inspirierte diese 'Zusammenkunft zur Förderung der Kreativität' ja sogar den einen oder anderen zu seinem ersten Roman. Aus ganz normalen herbstlichen Impressionen, die jeder für sich notieren sollte, entstand ein sogenannter "Markt der Wörter". Hier konnte nun jeder Teilnehmer "einkaufen gehen" und aus den Wörtern verträumte Sätze bilden, wie z.B. "Die Zeit fliegt in die feuerfarbenen Spinnfäden der Dämmerung"; "Auf Wolkenflügeln spaziert schweigend die Erinnerung". Danach wurde es schon ernster, denn nun sollte jeder seine größten Ängste in einem Satz aufschreiben, woraus sich schließlich Gedichte entwickelten. Diese durchaus schwierige Aufgabe, nahmen besonders die Erwachsenen sehr ernst, denn nun konnten sie ihre täglichen Ängste einfach in Worte fassen. Aus einem Satz "Kinder fressen mich auf" entwickelte sich ein beeindruckendes Gedicht!

Kinder fressen mich auf

Natürlich habe ich Zeit.

Natürlich verstehe ich dich.

Kinder fressen mich auf.

Leichter wäre es nachzugeben.

Beim nächsten Mal gebe ich nach.

Kinder fressen mich auf. 

Zur Entspannung und Stärkung war auch für das leibliche Wohl gesorgt: bei Kaffee und Plätzchen gab es noch genug für die Ohren: eine kleine Geschichte von Tilman Röhrig. Natürlich blieb noch genug Zeit um mit dem Autor persönlich zu sprechen und ihm ein paar Fragen zu stellen. Weiter im Programm ging es mit dem Thema Ungerechtigkeit, zu dem sich jeder einen Titel ausdenken und aufschreiben sollte.

Nach dem Austauschen der Blätter kam es zum Höhepunkt und langsam zum Schluss eines interessanten Nachmittags: Die letzte Aufgabe war, eine Kurzgeschichte zum Titel des Nachbarn zu verfassen. Heraus kamen schließlich melancholisch, düstere Werke, in denen viel philosophiert wurde, über Sündenböcke, bessere Noten und andere Probleme. Einige wurden zum Schluss vorgelesen:

Die bessere Note

Die Kerzen flackerten und sanft umwehte Giuseppe eine Meeresbrise salzig riechender Luft. Der rote Damastvorhang war zurückgeschlagen, so dass Sternenlicht in den kleinen Turmraum einfiel, doch Giuseppe wurmte, was er in diesen Mauern erschuf, es war mehr als Musik, es war der ewige Drang nach Perfektion eine mathematisch fassbare Form der Philosophie. Er wollte die Perfektion und so strichen immer wieder die Gänsefedern über die silbrig schimmernden Saiten des Cembalo, wieder und wieder die eine Melodie zu spielen, doch seine Sinfonie verfiel jedes Mal nach dem dreiunddreißigsten Takt. Kakophonisch thronte eine einzelne Note über allem vorherigen und zerstört all die Anmut und all die Perfektion. Doch was laut Harmonie, lehre und  Studium anderer Werke so logisch erscheint, entpuppt sich als Geißel des Wahnsinns, doch Giuseppe kann sie nicht verändern, denn sonst wäre all seine jahrelange Berechnung, all die Wissenschaft, die hinter seiner Sinfonie stecken, vergebens. Nie wieder könnte er Musik ertragen, wenn sein Stück nicht den endgültigen Beweis erbrächte, dass Schönheit eine Formel ist. Sicher, Symmetrie ist die Schönheit der Dummen, ließen schon die alten Griechen verlauten, doch so einfach machte er es sich doch gar nicht. 21 Jahre hatte er mit bloßer Theorie verbracht, um der Welt seine musikalische Krone zu schmieden und alles scheiterte an diesem einen Makel, einer einzelnen Note. Er brauchte eine bessere Note, doch woher? Nach verzweifeltem Studium aller Wissenschaften, nachdem er sein gesammeltes Erbe für das Symphotium verbraucht hatte, kann er in seinem Wahn zu der Idee, dass der letzte befreiende Seufzer einer gequälten Seele beim Scheiden in eine bessere Welt, doch eben jener Ton sein muss. Und so schied er glücklich in eine bessere Welt ohne sein Stück je zu vollenden  (Benedikt Postler).

Nach diesem langen, anstrengenden Nachmittag verabschiedete man sich letztlich zufrieden. Alle waren schon gespannt auf die Autorenlesung am nächsten Tag, wo man Tilman Röhrig wiedersehen konnte.