ABITUR 2003 ...................................................................... Festansprache zur Entlassung. Text und Präsentationsfolien, damit man alles noch einmal in Ruhe nachlesen kann. |
2. Entwicklung einer erfolgreichen Strategie Die Überlegungen, ob sich der Mensch von seinen Anlagen her freiwillig kooperativ verhält oder nicht und die Gründe, die zu dem Verhalten führen, sind sehr alt. Philosophen, Theologen, Psychologen, Pädagogen, Sozialwissenschaftler und viele andere beschäftigen sich mit dem Thema, ohne jedoch meistes zu beweisbaren Ergebnissen zu kommen: Vieles ist Vermutung, mal spricht mehr für die eine mal etwas mehr für die andere Annahme. Seit einigen Jahren beteiligt sich die Biologie an dieser Diskussion, da der Mensch immerhin ihr wichtigstes Forschungsobjekt ist, allerdings unter einer leicht abweichenden Perspektive. “Nothing in Biology makes sense except in the light of evolution.“ Dieses Zitat von Theodosius Dobzhansky steht auf der ersten Seite des Biologiebuches für die 13.1. Jedes heute existierende – und damit im sogenannten „Kampf ums Dasein“ erfolgreiche - Lebewesen besitzt Merkmale, die es dazu befähigen, sich erfolgreicher als die anderen Artgenossen durchzusetzen, da es sich ja durchgesetzt hat – so einfach ist das: Wer als Erster ankommt, ist am schnellsten gelaufen. Dazu gehören auch nicht angeborene, erlernte Verhaltensweisen, die zu flexiblen Reaktionen auf Herausforderungen aus der Umwelt befähigen. Und das macht Hoffnung: In vielen Gruppen der Lebewesen sind kooperative Strukturen oder Symbiosen zu finden; Kooperation muss daher erfolgreicher sein als Ausstieg (d.h. Nicht-Kooperation), die Frage ist nur, unter welchen Rahmenbedingungen das der Fall ist. Konkret: Welche Bedingungen führen zu Symbiose/Kooperation und welche zu Parasitismus/Ausstieg? Die im Gefangenendilemma beschriebene Situation nicht: Hier ist Aussteigen aus der Kooperation die Strategie, die auf jeden Fall für das Ego keinen größeren Verlust als für den Gegner (oder Partner?) bedeutet und das, obwohl sie für beide Beteiligten die schlechteste ist; das ist das Dilemma. Die entscheidende Bedingung für das Aussteigen ist die Anonymität der beiden Partner und die Tatsache, dass es sich um eine einmalige Situation handelt. In der Spieltheorie, die mit mathematischen und statistischen Methoden nach optimalen Strategien zur Gewinnmaximierung sucht, ist ein ähnliches Szenario immer wieder diskutiert worden: In schwierigen Zeiten sollst Du anonym auf dem Schwarzmarkt Waren tauschen. Dazu sollen Du und Dein Tauschpartner zu einem bestimmten Zeitpunkt an verschiedenen Stellen die Ware hinterlegen. Natürlich ist Dein Gewinn und damit deine Zufriedenheit am größten, wenn Du nichts hinterlegst und dafür die gewünschte Ware bekommst. Das gleiche gilt aber leider auch für Deinen Partner. Du hast keine Möglichkeit herauszubekommen, ob Dein Partner die Ware hinterlegen wird oder nicht, da es zeitgleich geschieht. Am besten wäre es natürlich, wenn Ihr beide ehrlich handeln würdet. Der Gewinn für Dich wäre aber leider nicht ganz so groß wegen der Gegenleistung. Hinterlegen beide nichts, bist Du zumindest nicht übers Ohr gehauen worden. Diese Prozedur wiederholt sich ab jetzt Woche für Woche, wobei Du natürlich – und das ist das entscheidend Neue - das bisherige Verhalten Deines Partners, den Du zwar nicht kennst, aber an dessen Verhalten Du dich erinnern kannst, mit in Betracht ziehen solltest, sozusagen ein sich ständig wiederholendes Gefangenendilemma. Jetzt wird es schwieriger: Zu jedem Termin können Sie um den Gewinn zu maximieren kooperieren oder aussteigen. Da Sie viele verschiedene Dinge benötigen, machen Sie mit unterschiedlichen Partnern ähnliche Geschäfte. Welche Strategie ist in dieser Situation mit vielen Partnern, die natürlich auch miteinander handeln, diejenige, mit der Sie am erfolgreichsten aussehen, d. h. im Vergleich zu allen anderen den größten Gewinn erzielen? Polypol nennt sich das, steht in Ihrer Abiturzeitung. Eine solch komplexe Situation ist mit vertretbarem Aufwand nicht zu kalkulieren – oder doch? Der Politologe Robert Axelrod hat genau das getan und die Ergebnisse in seinem Buch „Die Evolution der Kooperation“ veröffentlicht. Er lud Spieltheoretiker, Programmierer und interessierte Laien dazu ein, Computerprogramme zu schreiben, die in einer Simulation des „Schwarzmarkt-Szenarios“ gegeneinander antreten sollten. Es gab keine Vorgaben für die Komplexität der Programme, und welche Strategie verfolgt wurde, blieb der Phantasie und der Kalkulation der Autoren überlassen. Vierzehn Anmeldungen gingen ein. Das einfachste Programm bestand aus vier Zeilen Programmcode das komplizierteste aus 77. Axelrod selbst schickte ein Programm mit dem Namen „Random“ oder „Zufall“ ins Rennen, das in jeder Spielrunde den Zufall entscheiden ließ, ob es kooperierte oder ausstieg. Jedes Programm musste in diesem Computerturnier gegen jedes andere und gegen sich selbst antreten und ca. 200 Runden spielen.
Nach einigen Stunden Rechenzeit – die Computer waren damals noch nicht so schnell – stand das Ergebnis fest: Der Gewinner war das vom Psychologen und Philosophen Anatol Rapoport eingereichte Programm, der schlichte Vierzeiler, der nichts anderes tut, als in der ersten Runde zu kooperieren und dann immer das zu machen, was der jeweilige Partner in der letzten Runde gemacht hat: „Tit For Tat“ oder „Auge um Auge“. Letzter wurde "Random" oder „Zufall“. Es empfiehlt sich also anständig (Nicht als erster aussteigen!) und nachsichtig (Nichts nachtragen!) zu sein als Lehre aus diesem ersten Turnier. Um das Ergebnis zu überprüfen, schrieb Axelrod ein zweites Turnier unter den selben Bedingungen unter anderem in Computer-Zeitschriften aus. Alle Teilnehmer kannten die Programme und Ergebnisse des ersten Turniers. Beim zweiten Mal gingen 62 Bewerbungen aus allen Altersgruppen (Der jüngste Teilnehmer war 10.), sechs Ländern und acht akademischen Disziplinen ein. Einige der eingereichten Programme hätten „Auge um Auge“ im ersten Turnier geschlagen, wenn sie teilgenommen hätten. Und wieder gewann „Auge um Auge“. Das erstaunlichste war, dass diejenigen Programme, die es im ersten Turnier geschlagen hätten, abgeschlagen im Mittelfeld lagen. Deren Autoren hatten schlichtweg übersehen, dass sich die Umgebung und damit die Konkurrenz verändert hatte. Das zweite Turnier brachte daher noch eine zusätzliche Erkenntnis: Die im ersten Turnier erfolgreichen anständigen und nachsichtigen Programme boten den Anreiz für unanständige Programme, auszusteigen und dadurch besser abzuschneiden. Sie fanden sich fast alle im Mittelfeld wieder. „Auge um Auge“ bestraft jeden Ausstieg sofort und zwingt seine Partner so zur Kooperation, wenn er weiter punkten will. Die Spitzenreiter in diesem und übrigens in vielen weiteren Turnieren waren ausnahmslos Mutanten von „Auge um Auge“, die sich nur leicht in Schwere und Dauer der Strafe unterschieden, die Verlierer waren ausnahmslos unanständige Programme oder solche, deren Strategie so kompliziert war, dass sie zufällig erschien. Die wichtigste Erkenntnis aus dem zweiten Turnier war daher, dass man – zusätzlich zu anständig und nachsichtig - provozierbar sein sollte, d. h. auf Aussteigen mehr oder weniger sauer reagieren sollte und dass man seine Partner auch deutlich erkennen lassen sollte, dass man so reagieren wird. Außerdem zeigt es, dass „Tit For Tat“ robust ist, d, h. in vielen unterschiedlichen Szenarien erfolgreich ist. Kann sich Kooperation in einer Welt voller Egoisten entwickeln? Die Ergebnisse machen Hoffnung: Ein einzelnes kooperierendes „Auge um Auge“ - Programm geht in einer Population von Aussteigern unter; ein Anteil von nur ca. 5% reicht im Schwarzmarkt-Szenario jedoch bereits aus, um diese Strategie zur erfolgreichsten zu machen. Umgekehrt können Aussteiger nicht in „Auge um Auge“ – Populationen nicht bestehen.
Die wichtigsten Quellen: Hofstadter, Douglas R.: Metamagicum, Stuttgart 1988 (Kapitel 28, Computer-Turniere und die Evotulution der Kooperation) www.tobiasthelen.de/ipd/index.html (Einführung in die Spieltheorie) www.uni-koblenz.de/~woch/abstracts/axelrod-ek-91.html („Die Evoution der Kooperation“, kurze Zusammenfassung) Die Suchmaschine „Google“ liefert zu den Suchbegriffen „Gefangenendilemma“ bzw. „Prisoners dilemma“ ca. 40.000 Treffer !
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