ABITUR 2003
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Festansprache zur Entlassung. Text und Präsentationsfolien, damit man alles noch einmal in Ruhe nachlesen kann.

3. Beurteilung der Strategie und Konsequenzen

Damit wir uns jetzt nicht falsch verstehen: Eine Computersimulation kann keine Entscheidungskriterien für das Verhalten in einer konkreten Alltagssituation liefern, so wenig wie eine Hochrechnung das Verhalten eines einzelnen Wählers vorhersagen kann; trotzdem ist sie ein wirksames Instrument, um Tendenzen darzustellen.

Aus den Ergebnissen entwickelte Axelrod Vorschläge für eigenes erfolgreiches Verhalten.

Steige nicht als erster aus! Vermeide unnötige Konflikte, die aus unterschätzter Vergeltungsbereitschaft teuer werden können. Erinnern Sie sich an die chaotischen Sitzungen in der 11, als es um das Ziel für die Kursfahrt ging. Viele wollten damals ihre eingenen Interessen mit allen Mitteln durchsetzen. Es schien so, als existiere da ein Topf voll zu erwartender Zufriedenheit, aus dem sich jeder schon mal eine möglichst große Portion reservieren wollte. Die meisten übersahen dabei, dass die Kursfahrt nur dann für sie selbst ein positives Erlebnis werden kann, wenn viele Beteiligte sich mit Spaß einbringen und nicht das Gefühl haben Verlierer zu sein, damit die Chemie in der Gruppe passt. Das Ziel ist vielleicht für eine individuelle Reise nicht aber für eine Gruppe der entscheidende Faktor. Eine kleine Gruppe hat damals die Initiative übernommen und nach und nach den Rest und auch mich selbst wortwörtlich ins Boot geholt. Als es einmal lief, haben sich alle in ihren kleinen überschaubaren Küchendienst-Gruppen (Blöder Ausdruck...vielleicht wäre Sevice-Team besser gewesen.) mehr oder weniger freiwillig (Man ist ja Egoist!) eingebracht, die Gruppen haben miteinander kooperiert und die Mannschaften der beiden Schiffe auch (Na ja, meistens; hier hat manchmal das angeborene Revierverhalten die Kooperation leicht beeinträchtigt, aber es gab leider kein größeres Schiff.). Die Fahrt – das ist mir beim musikalischen Abschlussabend klar geworden – hat bei allen Beteiligten einen tiefen Eindruck hinterlassen. Zu diesem Zeitpunkt war diese Rede schon geschrieben.

Sei nicht neidisch! Auf den Schiifen hat es Faulenzer, Frisörinnen, Gafikerinnen, Köcheinnen, Dekoratörinnen, Matrosen, Musiker, Steuerfrauen... gegeben und jeder hat durch seine besonderen Fähigkeiten dazu beigetragen, die Fahrt zu einem Erfolg zu machen. Wir sind oft versucht, insbesondere in der Schule, unser eigenes Abschneiden mit dem Abschneiden anderer zu vergleichen. Es geht aber meistens nicht darum, in jeder Situation der Beste, d. h. der Gewinner zu sein (Vielleicht ist das beim Boxen so.), sondern den eigenen Erfolg durch geschickte Interaktion mit anderen – Leistung gegen Leistung – zu steigern. Wenn mein Partner das auch tut und damit auch Erfolg hat, schmälert das nicht den eigenen Gewinn, und ich sollte auch nicht versuchen, den Gewinn des Partners durch Eifersucht zu schmälern, da sich das nachteilig auf die Kooperation auswirkt und im Endeffekt mich selbst schädigt. Daher freue ich mich besonders darüber, dass ich die Schülerinnen, die nachher als Beste dieses Jahrgangs besonders geehrt werden, stets als kooperative Partnerinnen und nicht als einsame Streberinnen kennen gelernt habe. Trotzdem werden auch alle anderen ihr Abiturzeugnis erhalten. Alle, jeder auf seine besondere Weise und zu seiner Zeit, haben dazu beigetragen, daß der Topf voll Zufriedenheit weiter gefüllt wurde und damit der Anteil für jeden einzelnen viel größer wurde.

Erwidere sowohl Kooperation, als auch Ausstieg! Kooperation erwidern – kein Problem. Ausstieg erwidern heißt bestrafen. Das fällt uns viel schwerer; Strafe ist auch ein hässliches Wort. Oft lassen wir jemanden viel zu lange aussteigen, der Streit ist dann um so heftiger. Konsequenz auch bei kleinen Vertragsbrüchen verhindert Aussteigen von vorne herein, da niemand die Erfahrung machen kann, dass sich Aussteigen lohnt. Auf den Schiffen hat jeder durch die große Nähe sofort gemerkt, wenn Sand im Getriebe war. Hatte sich einmal jemand – aus Versehen natürlich – gedrückt, wurde ihm von seiner Gruppe klar gemacht, dass die Defizite aufzuarbeiten waren. Das haben Sie untereinander viel konsequenter geregelt, als das häufig in Schulen und Elternhäusern der Fall ist. Dankenswerterweise brauchte ich fast nie einzugreifen. Klar, wir haben auch mal geschrieen, aber wir haben uns immer wieder geeinigt und dann die Abmachungen auch eingehalten ohne nachtragend zu sein – so geht das! Zu dauerhaftem Schmollen gab´s keine Gelegenheit. Das leitet zum nächsten Punkt über:

Sei nachsichtig! Nachsichtig zu sein heißt nicht auf Sanktionen zu verzichten, sondern nach Konflikten wieder zur vertrauensvollen Atmosphäre der Zusammenarbeit zurück zukehren, wie es in der Diplomatie so schön heißt. Wir sind ja schließlich doch gemeinsam in Amsterdam angekommen. Machen Sie das nicht, werden Sie immer weniger Partner haben und einsam werden; der Verlust dadurch ist für Sie selbst am größten. Auf den Schiffen haben Sie, so erschien es zumindest mir, immer mehr Partner und Freunde gewonnen, die Gruppe hat sich selbst sozialisiert und ist dadurch immer enger zusammen gewachsen.

Sei nicht zu raffiniert! Rafinesse ist bei strategischen Spielen, in denen ich einen Gegner besiegen muss, gefragt. Mein Verhalten gegenüber Mitmenschen, Schülern, Lehrern, Kindern und Eltern muss jedoch klar erkennbar seit. Wenn ich nicht richtig einschätzen kann, wie mein Partner reagieren wird, ist die Situation so wie im einfachen Gefangenendilemma. Der maximal erzielbare Gewinn oder der geringste Verlust für mich ist daher in diesem Fall durch Aussteigen zu erzielen, vielleicht klappt es ja ohne Nachteile für mich.

Wie kann Kooperation gefördert werden? – Eine uralte Frage in der Erziehung. Auch hierzu gibt Axelrod Empfehlungen.

Erweitere den Schatten der Zukunft! Je länger die voraussichtliche Dauer einer Beziehung, desto stabiler der Anreiz zur Kooperation. (Handeslpartner machen´s so.) Das Service-Team vom letzten Tag der Fahrt hätte aussteigen können, da es ja nichts mehr zu verlieren und bereits alles gewonnen hatte. Hätte das die vorletzte Gruppe geahnt, wäre sie natürlich auch aus den gleichen Gründen ausgestiegen, danach die vorvorletzte usw. Das hätte bedeutet, dass wir überhaupt nichts zu essen gehabt hätten; Die Mathematiker nennen das vollständige Induktion, die Ökotrophologen nennen es Untererhährung. Das wäre aber nicht möglich gewesen, da es ja noch ein Leben in der Schule nach der Rückkehr gab.

Suchen Sie für sich nach vielen festen und dauerhaften sozialen Beziehungen.

Ändere die Auszahlung, so dass sich Aussteigen nicht mehr lohnt! Wenn die Bestrafung auf Aussteigen so groß ist, dass Kooperation unabhängig vom den Partnern die beste Entscheidung auf kurze Sicht ist, gibt es kein Dilemma mehr. (Regierungen machen´s so.)

Die Konsequenzen für absichtliches und wiederholtes Aussteigen aus den Verpflichtungen während der Kursfahrt wären bei dem dauernden und intensiven Kontakt zu den anderen desaströs für den Verweigerer gewesen. Ich glaube ich brauche das nicht näher zu erläutern.

Handeln Sie eindeutige Regeln aus, die keinen übervorteilen.

Kümmert euch umeinander! Forme die Werte des Partners so, dass deren Präferenzen nicht nur dem eigen Wohl, sondern auch dem Wohl anderer dienlich sind. (Schulen machen's so oder versuchen es zumindest.) Das gelingt nur durch konsequente Vermittlung der Erfahrung, dass sich Kooperation lohnt. In dieser Beziehung war die Kursfahrt ein Selbstläufer. Macht jemand die Erfahrung, das er als Egoist mehr Vorteile als andere sammeln kann, lernt er genau dieses Verhalten als erfolgreich kennen. Es wird sich manifestieren, da Lernen von der Evolution genau zu diesem Zweck - erzielen des größten Gewinns durch den geringsten Einsatz in wieder kehrenden Situationen – erfunden worden ist. Das Friedrich-Spee-Gymnasium ist eine eher kleine Schule. Weil es aber so klein ist, konnten wir Sie von der 5 bis hin zum Abitur persönlich begleiten und für Sie waren die Gruppen stets überschau- und kalkulierbar. Das ist meiner Erkenntnis von anderen Schulen her für die Persönlichkeitsentwicklung mehr wert als z. B. die Leistungskurse Philosophie und Informatik, die zwar sehr interessant sind, die es aber bei uns nicht gibt.

Sie wechseln zunehmend die Rolle von „Erzogen Werdenden“ zum „Erziehenden“. Nehmen Sie die für eine Gesellschaft existentielle Aufgabe der gegenseitigen Erziehung stets verantwortungsvoll wahr.

Unterweise in Sachen Reziprozität! Die Standardmoral in vielen Kulturen lautet "Verhalte dich so, wie Du möchtest, dass Du behandelt wirst" - oder übersetzt: Immer kooperieren. (Alle sollten´s so machen.) Das jedoch gibt Anreiz zur Ausbeute und verhindert sie nicht. Diese Strategie kann nur unter Ihresgleichen, also in sehr homogenen Gruppen erfolgreich sein. Besser ist tatsächlich „Auge um Auge".

Das ist eine ziemlich brisante Aussage, wahrscheinlich weil sie häufig falsch interpretiert wird. Vielleicht ist auch „Auge um Auge“ eine schlechte Metapher für „Wie Du mir, so ich Dir“, da es sehr aggressiv klingt. Wir haben bis jetzt nur über die Effizienz nicht aber über die moralische Wertung gesprochen. Das höchste moralische Ziel ist Gerechtigkeit für alle. „Auge um Auge“ kann gegen keinen seiner Mitspieler gewinnen, es versucht auch gar nicht erst besser zu sein. Darüber hinaus geht es immer vorurteilsfrei und anständig auf neue Partner zu. Moralischer geht´s nicht.

Die Gefahr ist allerdings, dass sich Aussteigen aufschaukelt, weil die gegenseitigen Bestrafungen immer heftiger werden: so verliert man Freunde. Vielleicht war das die einst Ursache für „...halte auch die andere Wange hin!“.

Seien Sie stets konsequent, aber reagieren Sie nicht überzogen. Zahlen Sie eher nur mit halber Münze heim, auch wenn Ihnen das als Schwäche ausgelegt werden sollte: Es ist wichtig, Freunde und Partner zu behalten. (Das fällt mir als Lehrer übrigens am schwersten. Manchmal hätte ich jemanden vor die Wand knallen können und dann blieb´s doch nur wieder bei „Sei doch bitte mal ruhig!“).

Erhöhe die Erinnerungsfähigkeit! Das Spektrum erreichbarer Kooperation hängt von der Erinnerungsfähigkeit der Teilnehmer ab. (Erfolgreiche Persönlichkeiten machen´s so.)

Erhöhe also auch deine eigene Fähigkeit, Aussteigen früh wahrzunehmen und eindeutig dem Verursacher zuzuordnen. Mache dich selbst für andere erinnerungsfähig durch besondere und beständige Merkmale.

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Die wichtigsten Quellen:

Hofstadter, Douglas R.: Metamagicum, Stuttgart 1988 (Kapitel 28, Computer-Turniere und die Evotulution der Kooperation)

www.tobiasthelen.de/ipd/index.html (Einführung in die Spieltheorie)

www.uni-koblenz.de/~woch/abstracts/axelrod-ek-91.html („Die Evoution der Kooperation“, kurze Zusammenfassung)

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