ABITUR 2003
......................................................................
Festansprache zur Entlassung. Text und Präsentationsfolien, damit man alles noch einmal in Ruhe nachlesen kann.

Liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten.

1. Hinführung zum Thema

Stellen Sie sich bitte vor, dass es mit Ihrem Abitur nicht geklappt hat: Sie sind auf die schiefe Bahn und in zwielichtige Gesellschaft geraten. Zufällig lernten Sie einen Typen kennen, der einen Plan für einen Bankraub ausgearbeitet hatte und zur Durchführung einen Komplizen brauchte. Sie haben das Ding mit ihm durchgezogen. Leider unterliefen ihnen ein paar winzige Fehler. Sie wurden geschnappt, und nun sitzen Sie allein und ohne jegliche Kontaktmöglichkeit in Untersuchungshaft. Die Zellentür öffnet sich, der mit dem Fall betraute Staatsanwalt betritt Ihre Zelle und macht Ihnen ein Angebot (und teilt ihnen mit, dass er dasselbe Angebot natürlich auch ihrem Komplizen macht): „Pass gut auf mein Junge/Mädchen! Wir haben eine Menge Indizienbeweise gegen euch. Beteuert ihr beide eure Unschuld, werden wir euch in jedem Fall überführen, und ihr kriegt jeder zwei Jahre Gefängnis. Bist du uns aber behilflich, indem du gestehst und uns die Überführung deines Komplizen – oh Entschuldigung, deines angeblichen Komplizen – erleichterst, dann lassen wir dich frei. Und keine Sorge von wegen Rache – dein Komplize bleibt fünf Jahre drin! Na, wie wär´s?“ Voll Bedacht fragen Sie: „Aber was ist, wenn wir uns beide schuldig bekennen?“ „Nun ja, mein Lieber – ich fürchte, dann kriegt ihr beide vier Jahre.“ Da sitzen Sie ganz schön in der Patsche... So weit die Schilderung der Situation durch den Kognitionswissenschaftler Douglas R. Hofstadter.

Überlegen Sie bitte in Ruhe 60 Sekunden lang, wie Sie sich entschieden hätten: gestehen oder schweigen – natürlich ohne Kontaktaufnahme zu Ihren Nachbarn; Sie sitzen ja in Einzelhaft! (Eine Minute Pause)

Ich kann jetzt Ihr Ergebnis nicht überprüfen, aber in dieser Situation steigt meistens die Mehrheit der Befragten aus der Kooperation mit dem Komplizen aus und singt.

Und damit sind wir schon beim Thema meiner Rede: Es geht um die Frage „Kooperieren mit anderen oder aussteigen“ oder anders ausgedrückt „Soziales oder unsoziales Verhalten“, ein Thema, das für uns - Lehrer und Schüler - .in der Schule immer relevant ist und für Sie in Zukunft immer relevant sein wird, da es über den gesellschaftlichen Erfolg des Einzelnen und den Erfolg der Gesellschaft insgesamt entscheidend mit bestimmt.

Die Rede gliedert sich in vier Teile:

  1. Eine „Hinführung zum Thema“: Das so genannte Gefangenendilemma und seine Analyse durch die Spieltheorie und die Evolution; hier befinden wir uns gerade.
  2. Die Entwicklung einer erfolgreichen Strategie durch eine ungewöhnliche Methode. Da ich das Thema aus naturwissenschaftlich-technischer Sicht betrachten möchte, geht es dabei zunächst nicht um gut oder böse sondern um erfolgreich oder chancenlos.
  3. Die Beurteilung dieser Strategie und die  daraus folgenden Konsequenzen für uns alle.
  4. Abschiedsworte

Zurück zum Thema: Was macht das Gefangenendilemma zum Dilemma? Ich versuche einmal, Ihre eigenen Überlegungen zu skizzieren:

Unabhängig vom Verhalten des Komplizen führt „Aussagen“ zum besseren Ergebnis für Sie: Hat sich ihr Komplize für „Aussagen“ entschieden, bekämen Sie fünf Jahre, wenn Sie schweigen; also sollten Sie auch singen, damit Sie nur vier bekommen. Hat er jedoch geschwiegen, sollten Sie erst recht singen, da Sie dann sofort frei sind; ansonsten müssten Sie ja zwei Jahre drin bleiben.

Da Ihr Komplize die gleichen logischen Überlegungen angestellt hat, werden Sie beide gestehen und vier Jahre sitzen. Es liegt also an der Logik, denn falls Sie beide geschwiegen hätten, wären Sie nach zwei Jahren draußen gewesen.

Weiter zu Kapitel 2

Zur Erinnerung: Der Segeltörn auf dem Ijsselmeer im September 2002

Text und Präsentationsfolien: Felix Pradel

Die wichtigsten Quellen:

Hofstadter, Douglas R.: Metamagicum, Stuttgart 1988 (Kapitel 28, Computer-Turniere und die Evotulution der Kooperation)

www.tobiasthelen.de/ipd/index.html (Einführung in die Spieltheorie)

www.uni-koblenz.de/~woch/abstracts/axelrod-ek-91.html („Die Evoution der Kooperation“, kurze Zusammenfassung)

Die Suchmaschine „Google“ liefert zu den Suchbegriffen „Gefangenendilemma“ bzw. „Prisoners dilemma“ ca. 40.000 Treffer !