Der Patriot schreibt am 17.05.2004
Da ging' s drunter und drüber

Brechts "Die Kleinbürgerhochzeit"mit viel Schwung auf die Bühne gebracht

RÜTHEN. Schon der erste Eindruck ist gutbürgerlich: Zu sehen ist eine lange Tafel, an den Wänden hängen die unvermeidlichen Ölschinken. Stühle werden von der Mutter des Bräutigams (Karolina Jagodzinski) gerückt, der Tisch in geschäftiger Ruhe gedeckt für das große Ereignis, die Hochzeitsfeier. Schließlich soll alles perfekt laufen am großen Tag im Leben des Brautpaares. Und die Flaschenfülle zeigt: Hier wird ordentlich Alkohol fließen und so manche Zunge lösen. Schnell wird in Bertold Brechts "Die Kleinbürgerhochzeit" deutlich, dass die Harmonie, die Liebe der Brautleute und die Fröhlichkeit der Gäste nichts sind als schöner Schein. Die Fassade bröckelt, so wie die selbst gezimmerten Möbel des Bräutigams (Niklas Hangebrauck). Unterhaltsam und doch zum Nachdenken anregend ist Brechts Einakter, den die Theatergruppe "Spectaculum" mit Schwung und Wortwitz auf die Bühne der Alten Aula brachte. Auf den ersten Blick mutet die Kleinbürgerhochzeit wie ein derber Schwank an. Zunächst noch heiter und beschwingt betreten Brautpaar und Gäste die gute Stube, lassen sich den Sekt schmecken, prosten sich zu. Doch schnell kommen erste Unstimmigkeiten auf: Niemand will die verworrenen Geschichten hören, die der Brautvater (Janis Erdmann) penetrant zum Besten gibt. Auch die Frau (Sabrina Radlinger) fällt schnell aus der Rolle. Sie stichelt über die selbst gefertigten Möbel des Bräutigams, lacht schrill auf, als in der Ansprache die Rede darauf kommt, dass sich zwei edle, junge Menschenkinder das erste Mal gehören werden. Als auch noch der Freund des Bräutigams (Carsten Dierkes) den ersten Tanz von der Braut fordert, anschließend bei der süffisant vorgetragenen Keuschheitsballade seine guten Manieren durch unter die Gürtellinie gehende Derbheit ersetzt, ist der Familienhölle Tür und Tor geöffnet: Die Anwesenden machen sich mit teuflischer Lust gegenseitig kaputt. Die Masken aller Beteiligten fallen. Keine Rede ist mehr von Fröhlichkeit und guter Laune. Den schalen Geschmack der Sticheleien, die auf den Tisch kommen, können die Beteiligten nur mit immer mehr Alkohol hinunterspülen. Und je mehr getrunken wird, je mehr heizt sich die Stimmung auf. So wie die kleinbürgerliche Gediegenheit gehen auch die selbst gezimmerten Möbel nach und nach eindrucksvoll zu Bruch. Höhepunkt des sich steigernden Chaos ist, als die Frau betrunken und undeutlich vor sich hinlallend inmitten den Trümmern eines Schrankes sitzt und das Geheimnis der Braut ausposaunt: Die junge Frau ist schwanger, die hoch gelobte Jungfräulichkeit ist ebenso Schein wie die anfängliche Harmonie unter den Gästen. Doch ein Rest der Fassade bleibt bewahrt. Fast brutal reisst der Mann (Andre Struwe) diese daher auf die Füße, drängt sie aus dem Zimmer. Die übrigen Gäste folgen. Das Brautpaar bleibt zurück. Dass ihre Ehe auch nicht von mehr zusammen gehalten wird als die Möbel, nämlich von schlechtem Leim, wird schnell offenbar. Zunächst giften sich die beiden an, dann trinken sie zusammen und versuchen dem Abend etwas Komisches abzugewinnen. Ihr Lachen wirkt jedoch seltsam schal. Zum Schluss gab' s donnernden Applaus vom Publikum. Brecht hätte an der pointenreichen Inszenierung sicher seine Freude gehabt.

 

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